Dienstag, 2. Juni 2015
Also zurückgeworfen
Erstellt von martinopenmedi um 10:10
Dies ist ein experimenteller Text, der quasi direkt am Gehirnausgang ohne große Editierleistung entstand. Sinn und Zweck der Übung war, einen Gedanken gewissermaßen "aus sich selbst heraus" auf's Papier zu bringen und diesen nicht zu formen, sondern zu nehmen, wie er ist.
Wenn meine Sprache schon so die literarische ist, hätten alle Alarmglocken schellen müssen. Wenn man einmal Worte für sich nimmt. Normalität als Norm, ja, aber als eigene, selbstzentrierte. Norm als Rohstoff, als Möglichkeit ins Berechenbare, da wo man selbst existiert im Raum der auszähl- und abzählbaren Sprache. Da wo man sich selbst finden kann. Was man aber eigentlich bräuchte wäre schluckbare Erfahrung, oder Liebe statt komplizierter Wortspielereien. Aber als einziges Ausdrucksmittel bleibt nur der Umweg über die Sprache als vermittelnde und mittelnde das heißt normalisierende, normierende(?) Gewalt. Man muss sich dem ja hingeben, kann gar nicht sein, muss Gewesenes korrigieren, weil alles Übersetzung von allem ist, aber jeweils als »enhanced aproximation«, als erweiterte Vereinfachung. Es geht keine Information verloren, sie wird nur überlagert und man selbst dadurch formalisiert, also überlagert. Man darf nicht verrückt sein. Das Leid der alternativen Lebensentwürfe entsteht demnach in dem, wie sich diese gegenüber fremdverfasster NORMalität äußern. Das Delta dieses Vorgangs ist dann Individualität. Stellt sich die Frage ob und wie sich dann ausbrechen lässt. Ist dann wirklich schon alles versucht worden? Ich kann mich an keine Erhebung erinnern, weder so noch als Stammbaum. Ließe sich die Vorstellung von Endlichkeit und innerer Abgeschlossenheit denn nicht wenigstens als Raumsimmulation mit Zeit durch unterschiedliche Linsen erfassen? Wir müssen den Translationsprozess verbessern. Das intuitive ins sensorische Übersetzen und umgekehrt. Das Implizite in seiner Funktion als Kleber verstehen und die Chemie dahinter zum Leuchten bringen. Texte nicht nur in die Tiefen denken, sondern auch in die Breite und die Höhe und als sich über eine gewisse Zeit erstreckender Prozess. Würde das nun gerne abbilden, ist aber nicht möglich, weil die Werkzeuge fehlen, gibt nur die Möglichkeit linear abzubilden, immer nur linear, was es bräuchte sind - wie oft denn noch? - Gedankengebäude in den ich auch unabhängig von der Erzählung auf Entdeckungstour gehen kann, etwa wie im Rollenspielbuch, das kann hier als Abbildung eines Textes, der in die Breite geht, nicht im inhaltlichen, sondern im Textsortensinn, gelten. Wir müssen in der Lage sein, alles Denkbare auch zu schreiben und nicht umgekehrt. Ich kann dreidimensional, visualisierend denken, aber wo sind die Tools, die mir dies auch erlauben? Es gibt eine Reihe von Legosteinen im Kopf und diese muss man in ihren Eigenschaften abbilden, dieser angebliche Strom von Gedanken existiert nur, durch diese unzureichende Schnittstelle eingeschränkter, beherrschbarer Sprache und auch wenn wir in Wirklichkeit noch über lange Zeit auf die beherrschbare lineare Sprache zurückfallen werden, lässt sich als Abstraktion dieser doch eine künstliche dreidimensionale Sprache inklusive Zeitdimension, inklusive Unabhängigkeit des Nutzers konstruieren, als Interface auf die Sprache und auf die Gedanken. Auf dass das Auseinanderschrauben der Sprache in diese "Legosteine" wie ich es nannte sensorisch erfassbar wird, genauso wie sich der kontinuierliche Strom der Sprache in Texten Bahn bricht und eigentlich erst dort durch Iterationsschritt um Iterationsschritt zu seiner Verfasstheit in einer bestimmten Textsorte kommt, verständlich oder besser: Interpretierbar wird. Es ist demnach eine Sprache oder Literatur zu finden, die ähnlich dem Schreiben in Großbuchstaben, oder ähnlichen Formatierungen, die plattgedrückten Gedanken wieder zurück in ihre ursprünglich dreidimensional gedachte Form bringt, sie in neuer Art und Weise vielleicht, aber doch als Gedankengebäude erfahrbar macht und damit also eine mögliche und hier angenommene Räumlichkeit wiederherstellt und zwar nicht nur im Hypertext-Sinne, als weiterhin plattgedrückte Schichten, mit Bindfäden verbunden, sondern diese Nebenläufigkeit und Verbundenheit als Räume innerhalb eines Gedankengebäudes, als Gebäude im eigenen Verständnis und schließlich als Gedankenwelt in Abbildung der als wirklich angenommenen Welt dazustellen. Als Wetter und Erosion, Naturkatastrophe sind Erschütterungen der inneren Welt dazustellen. Man nagle mich bitte nicht auf diese Metapher der Welt fest. Durch das tatsächliche Sichtbarmachen, semantischer Bausteine in ihrer Räumlich- und Zeitlichkeit ließe sich so unter Umständen eine Übereinkunft finden in der über Inhalt und Struktur hinaus auch etwas zur Örtlichkeit dieser Gedankengebäude zu sagen wäre, man würde so der Materialität von Texten näher kommen können. Vielleicht. Wurde das schon versucht?
Der Mann und sein Kampf
Erstellt von martinopenmedi um 10:07
Heute, als ich ein paar Bücher und kopierte Aufsätze für eine meiner Hausarbeiten von der Bibliothek abholte und nach Hause fahren wollte, begegnete ich einem Mann, der sich oder eine imaginäre Person verprügelte.
Es ist ein grauer Tag, aber auch nicht so richtig, denn auch wenn der Himmel weitestgehend einheitlich aussah, brach der Grauschleier doch an den Ecken immer wieder auf und lies Luft für etwas andere Farbtupfer. Wie Schlüssellöcher konnte man den Himmel hinter dem Himmel sehen und daran gemächlich die Hoffnungslosigkeit auf besseres Wetter gegen die Hoffnung auf einen richtig schönen Nachmittag eintauschen. Dieser Himmel war wie ein kleines Kind, dass ich beim Aufwachen beobachten kann. Ganz langsam rekelt und streckt es sich und gibt hier und da schon einen Blick auf seine Augen frei. Fragt sich nur, wer hier wen beobachtet, denke ich.
Ich habe gerade die Bibliothek verlassen und laufe die Straße zum Bahnhof entlang, als ich in einiger Entfernung einen Mann mit wirrem Haar, vielleicht in meinem Alter, sehe. Er steht auf der anderen Straßenseite, an einem Grünstreifen und macht eigenartige Bewegungen, wie als würde er den fliehenden Flügelschlag eines Vogels nachzeichnen, nur umgekehrt.
Der, die oder das was dort neben ihm gelandet ist, ist unsichtbar. Der Mann verfängt sich jedoch in ein stummes aber deswegen nicht weniger energischer geführtes Gespräch, während ich weiter auf ihn zu laufe.
Ab und an kreuzen sich unsere Blicke, doch der Einzige, der zuckt bin ich, denn dieser Mann - ich habe das dringende Bedürfnis ihm einen Namen zu geben, Benni vielleicht - nimmt mich nicht wahr. Er beginnt sich zu prügeln, mit sich selbst oder der Person, die ich nicht sehen kann, nicht begreifen kann, doch er prügelt sich und sie, ist noch im Kampf als ich auf einer Höhe mit ihm bin, noch als ich schon an ihm vorbeigelaufen bin und mich ab und an umdrehe. Der Kampf ist anstrengend für ihn. Ich weiß nicht genau was ich tun soll. Braucht dieser Mann Hilfe? Vielleicht, aber die Bahnhofsmission ist hier gleich in der Nähe, also kein Grund zur Sorge.
Und dann wird es mir klar: Dieser Mann ist vermutlich glücklicher in sich, als ich es vielleicht jemals sein werde, denn er gewinnt seinen Kampf, das sehe ich und das vermutlich immer.
Ist es nicht erstaunlich, dass ich in der Lage bin glücklich für jemanden zu sein, der seine Dämonen so eindeutig vor der Nase hat und bekämpfen muss, ich mich aber, obwohl ich meine Dämonen auch benennen kann niemals so mutig habe wehren können? Ich weiß doch wie es richtig geht!
Und warum braucht dieser Mann einen Namen? Was gibt mir das Recht darüber zu entscheiden, ob dieser Mann einen Namen haben muss? Wieso kann ich mich nicht einfach so an seiner Existenz erfreuen? Ich weiß die Antwort natürlich. Weil ich es selbst nie konnte. Ich konnte nur ich sein, wenn es mir gewährt wurde, wenn man mir es erlaubt hat. Dieser Mann macht das nicht, er erlaubt sich nichts, sondern er ist und kämpft und gewinnt. Mögen ihn alle noch für so "seltsam" und "verschroben" und "bekloppt" und "nicht ganz dicht" halten: Für mich war er - dank seiner Courage, den Kampf aufzunehmen, zu sein wie er ist und nicht auf die Bestätigung zu warten, ob er auch kämpfen darf, ob er überhaupt kämpfen sollte - mein Held des Tages.
Brücken
Erstellt von martinopenmedi um 10:05
1
Kannst du dich noch dran erinnern? Es war ein grauer Mittwoch Nachmittag, damals in der Grundschule. Die letzten beiden Stunden auf dem Plan sahen Sportunterricht vor und zu allem Überfluss stand eine Kugelstoßkontrolle auf dem Programm. Du warst nie gut im Kugelstoßen, eigentlich warst du sogar so schlecht im Kugelstoßen, dass du vermutlich, wie schon letztes Jahr, maximal eine vier wirst erreichen können. Du strengst dich ja an, aber keinen interessiert es. Es ist so ungerecht, sich an diesen Zahlen des Durchschnittsschülers messen zu lassen.
Du bist dafür sehr gut im Schreiben und im Formulieren, dir macht das Freude wie sonst nichts auf der Welt. Du kannst dich in der Raufasertapete, oder im Badeschaum verlieren und die Geschichten und fantastischen Möglichkeiten fliegen dir zu, du nimmst sie wie durch Osmose auf, du weißt gar nicht, warum dem so ist.
Du wirst älter, wie alle anderen auch. Etwas verfestigt sich in dir. Wie auf der Haut fest gewordener Teig. Es zieht und zippt und eine Weile wehrst du dich noch dagegen, aber irgendwann tust du auch das nicht mehr und wirst damit immer mehr zu der, die du sein willst, musst - und gehst nun, dergestalt auf deine Talente und Ansichten eingeschränkt in deine Richtung. Du kriegst keine Werkzeuge mit auf den Weg wie viele andere, denn du willst deinen eigenen Weg machen. Immer weiter, immer tiefer in deinen Kaninchenbau. Zumindest ein Teil von dir geht dort hin, immer wieder. Du als dein eigener Sklave. Gedanke um Gedanke trägst du aus deinem Gedankensteinbruch. Es ist so mühsam, aufregend, erschreckend, fordernd, langweilig und all das etwas aus all dem was in dir steckt zu formen, denn dein Steinbruch, das bist auch du.
2
Und dann kommen schließlich irgendwann die Konflikte und Dinge und vor allem Menschen mit denen du nicht mehr kannst, weil sie anders buddeln und Werkzeuge haben, weil sie wissen, wenn sie jetzt so bleiben und nicht auf deine Ratschläge hören, dann finden sie ihre geniale Ader, sie vertrauen auf ihren Instinkt, oder ihr System, ihren Glauben oder ihre Hoffnung, ihre Ignoranz, weil man nicht alles gleichzeitig kann und sie allein schon deswegen nur an einer Front kämpfen. Weil sie es dir nicht erklären können.
Du kannst es kaum verstehen, warum man nicht auf dich hört. "So glaubt mir doch", rufst du aus, "wenn wir es alle so machen, wie ich es will, dann machen wir es richtig, dann ist es fair." Aber keiner hört dich und auch du hörst irgendwann niemanden mehr, weil auch du weißt, dass du auf dem richtigen Weg bist, diesen Schacht noch ein paar Meter weiter mit blutenden Fingerkuppen freischlagen und du triffst auf deine Ader, alle werden verstehen. Du wirst frei sein.
3
Aber dann ist dort doch keine Ader, auch dort ist wieder nur Geröll und du musst Stein um Stein wegräumen und es ist alles so so anstrengend und du wirst unfair von den anderen behandelt, so dass du am liebsten schreien willst. Denn du siehst nicht, wie sie in sich selbst ebenfalls buddeln und graben und suchen und hoffen und fühlen und sind. Sie haben sich noch nicht selbst, so wie du dich noch nicht hast, aber demnächst kommt die Ader. Du bist so traurig, dass dir keiner zuhört, obwohl du doch wissen würdest wie es geht. Dir fehlt nur die Kraft es auch zu machen. Du siehst ein, dass du es nicht alleine kannst.
Du bist halt keine Kugelstoßerin, noch nie gewesen. Du hast keine Kraft, du hast Ideen, du willst bewegen, du willst, dass es alle besser machen und vor allem, dass die Kugelstoßer, diese dummen dummen Kugelstoßer endlich zuhören! Sie suchen so sehr ohne System und kommen doch so weit und es ist so ungerecht, weil sie dich damit unterdrücken und andere wie du sehen das auch so. Und ihr wisst ja, dass ihr recht habt und mir geht es ganz genauso wie euch.
Manchmal ist es dir dann zu viel und du steigst auf deinen Berg und du erhebst dich und rufst: "Ihr tut mir weh, ihr Schweine tut mir alle so weh, warum muss ich leiden? Weil ich die Kugel nicht so weit stoßen konnte? Weil ich zu gut in Deutsch war? Weil ich keine Kugelstoßerin bin?" Und ohne, dass du es wolltest teilt sich plötzlich alles in die und dich und deine Leute und zwischen denen und euch fließt plötzlich der reißende Fluss. Ihr baut Mauern aus Argumenten, den Steinen aus euren Steinbrüchen und zementiert sie mit dem Staub, den ihr blutig hustend aus euren Steinbrüchen mitgebracht habt und ihr ruft zusammen auf die andere Seite des Flusses: "Seht ihr, wie wir leiden? Und das alles wegen euch!"
4
Die anderen sehen und hören euch nicht. Sie sind beschäftigt. Sie hören, dass ihr gelegentlich "Schweine" herüber ruft, aber mit solchen Leuten will man nichts zu tun haben, dafür hat man keine Zeit, weil man nämlich weiß, dass hinter der nächsten Biegung schon die Lösung sein könnte, nach der man so lange gesucht hat, für die man so lange gearbeitet hat.
Manchmal, wenn die anderen selbst gerade nicht graben, dann schauen sie abschätzig auf eure Bergfestung und lachen und spielen mit euch. Sie hören "Wir leiden ihr, Schweine" und antworten mit schallendem Gelächter. Sie wissen, dass sie stärker sind. "Hier auf unseren Zeugnissen von damals aus der Schulzeit ist vermerkt: "4 Kilokugel knapp 8 Meter Einsplus". Sei genauso gut und wir reden weiter. Und so lange will ich nichts von Ungerechtigkeit hören! Du musst doch nur übenübenüben!"
5
Ich sehe mir das alles von meinem Floß an, während ich mir, den Kopf geneigt den Sand aus aus den Ohren und Augen rieseln lasse. Wenn ich mich vorstellen darf? Ich bin Martin und meine Profession ist Brückenbauer. Ich fahre auf eurem Fluss und weiche den Stromschnellen mal auf eurer, mal auf der Seite der anderen aus. Meine Steine werfe ich in euer Wasser, weil meine Hoffnung nämlich ihr seid.
Ich pfeife mein Lied und sehe euch und die jeweils anderen auf euren Bergen stehen, grüße vergnügt das Mädchen und den Jungen, die ihr mal wart und die nun an euren Bergen zu tragen haben - für was? Meine Steine plumpsen weiter ins Wasser, wo Stromschnellen waren, entsteht eine Furt, ein verbindendes Element, eine Assoziation aus elastisch Gewundenem, meinem Innersten, wird zu einer organischen Brücke. Hier unten finden die unmöglichen Verbindungen statt, im Abraum der Idealisten. Wo die Menschen wohnen.
6
Wart ihr mal unten am Fuße eurer Berge? Habt ihr gefragt, was eure halbblinden inneren Kinder einst wollten? Ich war dort und sehe sie alle, während ich eure reißenden Flüsse entlangstacke. Ich sehe auch all die anderen, die sich zum Freiwilligendienst meldeten, nur um auch an eurer Mine graben zu könnnen, nur um dabei zu sein, weil sie euch lieben.
Dabei brauchen wir Brücken mehr denn je. Die Erde und die Menschen werden transparent, die Welt wird lauter, die Gedanken diamentener, die Minen tiefer. Wir brauchen uns alle, wir brauchen die Berge und dich und die Kugelstoßer, aber vor allem brauchen wir Brückenbauer und deshalb bitte ich dich: Komm mit mir, lass uns eine Brücke bauen. Nur eine. Nur eine Hand, die die andere fässt, nur eine weitere, die die Schulter berührt. Nur ein Kopf, der auf dem Herzen liegt, nur ein Rücken, der die Last des anderen trägt.
Eine sorgsam zusammengefaltete Hoffnung auf ein besseres Danach kann mehr bedeuten, als jeder 24-karätige Glauben recht zu haben.