Textrepo Hähnel
Donnerstag, 9. Juli 2015

Auf deine Frage hin

Auf deine Frage hin sage ich: Ich versprech’s dir nicht in die Hand. Ich versprech’s dir nicht ins Gesicht. Nicht auf deine Lippen. Nicht durch die Brille, durch deine unmissverständlichen braunen Augen. Ich versprech’ dir’s nicht ins Haar, während du vor mir kniest. Und du versprichst mir nichts. Denn ich hielte es ohnehin nicht. Dein Versprechen. Halte ja nicht mal meins. Halte aber immer nur meins nicht. Und darin liegt die Schönheit des Fremden. Der wir füreinander geblieben sind. Und gleichzeitig ist das nicht auszuhalten. Dann lieber sterblich. Dann lieber unversprochen. Also. Ich sag nichts. Und du sagst nichts. Und wir sagen erst recht nichts mit unseren Händen. Und schon gar kein Versprechen. Eh wir uns versprechen. Tastend, ohne alles. Ohne Netz, ohne doppelten Boden. Jedenfalls für den Moment. Und du bist so schön in deiner nackten Konsequenz. Und hältst mich im Jetzt.

Sonntag, 14. Juni 2015

Wie ich einmal in meiner neuen WG in die Küche gehen wollte, weil ich Hunger hatte, aber das ging nicht, weil ich dann ja von den anderen WG-Leuten, die im Wohnzimmer saßen gesehen worden wäre und das wollte ich nicht, jedenfalls war das die Ausgangssituation

(Geschrieben für den Poetry Slam, "Slam the Library")

Hahahahaha. Hahahahahahahahaha. Ha. Ein Katzenbaby. Niedlich. Hahahaa. Ohh. Urgh. Hngggn! Hngggn!^2 *Kotzgeste* Noch’n Katzenbaby. Auch niedlich. Hahahaa. Scroll. Klick, Klick, Scroll. Scroll. Klick. So. Internet durchgelesen. Mein Magen grummelt. Ich habe wohl Hunger. Muss mal was essen. Gibt es in der Küche. Und jetzt? Jetzt muss ich verhungern, weil sich andere Menschen im Wohnzimmer befinden. Und ich muss durchs Wohnzimmer um in die Küche zu kommen. Was mach ich nur? Ich könnte aus dem Fenster springen. Wir wohnen im ersten Stock. Und dann durch die Wohnungstür wieder rein. Schlüssel hab ich ja. Aber was ist mit dem Rückweg? Da muss ich ja trotzdem durchs Wohnzimmer. Das fällt dann ja auf. Dann lieber verhungern als auffallen. Dass ich auch alle versteckten Nahrungsvorräte schon aufgegessen hab. Ich bin doch erst anderthalb Tage in meinem Zimmer. Verhungern ist keine Lösung. Das dauert zu lange. Hm. Könnte mich kopfüber aus dem Fenster stürzen, aber das fällt dann ja wieder auf. Wenn mein Gehirn sich auf dem Bürgersteig verteilt. Und was sollen dann morgen früh die Nachbarn denken? Also muss ich wohl überleben wollen. Warum bin ich in eine WG gezogen, dazu noch mit mir völlig unbekannten wildfremden Menschen? Es sind doch Menschen? Es könnten auch keine Menschen sein. Ich mein, so genau weiß ich das ja nicht. Sie sehen sehr menschlich aus. Vielleicht sind’s Kannibalen. Oder Zombies. Oder Aliens! Oder verkleidete Waschbären. Man kann sich ja nicht sicher sein. Kann man sich nie.

In meiner alten Wohnung war das kein Problem. Da wohnte ich nur mit mir und meiner Hamsterin. Ich brauchte da nicht mal eine Hose anziehen, wenn ich in die Küche wollte. Die Hamsterin war nämlich auch nackt. So rum gedacht, lebte ich vorher in einer Nudisten-WG. Kein Wunder, dass mir die Umstellung jetzt so schwer fällt.

Das nervt schon. Das mit den Hosen. Aber es sagt einem ja auch niemand, dass in einer 5er-WG - inklusive Hamsterin - ständig Leute sind und man sich ständig beobachtet fühlt. Totalüberwachung. Ich lebe die Dystopie. 1984. Orwell hatte recht. Na gut. Manchmal schlafen die Leute auch. Vielleicht lauschen sie aber auch bei geschlossener Tür, ob ich irgendwas mache. Auch deswegen mache ich nichts. Außer das Internet durchlesen. Na gut und ich bin Geisteswissenschaftler. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich sollte mir eine Strickleiter für Notfälle besorgen. Dann kann ich mich abseilen. Falls mich die Waschbären auffressen wollen. Oder so.

Dass es keine Tarnanzüge gibt. Jedenfalls nicht zu kaufen. Bisher ist die Zukunft enttäsuchend. Also die Zukunft, die angeblich hier ist. Die Zukunft, die man kaufen kann. THE FUTURE IS NOW! sagen doch jetzt immer alle. Oder? Oder sag ich das bloß? Stand doch auf irgendeiner Wand hier irgendwo in Berlin. Oder?

Aber nicht nur Hosen muss ich anziehen. Habe ja noch diesen Kopfhörer auf. Und geile Musik in den Ohren. Düdeldüdeldüdeldü. WhobWhobWhob. Und so weiter. Der Hamsterin macht die Beobachtung durch andere nichts aus. Ihr Käfig steht da einfach bei den Leuten im Wohnzimmer und obwohl sie andere sehen können rennt sie weiterhin nackt herum. Ein Skandal! Findet das wohl geil. Nunja. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Kann man nichts machen. Hilft mir auch nicht. Also: Hose anziehen. Schwups. Hose ist an.

Tür aufmachen. Aber leise. Okay. Läuft. Puh. Zugegeben: Ich weiß nicht so genau, ob das jetzt gut gelaufen ist, oder nicht, weil ich ja Musik in einer Lautstärke höre, die Presslufthämmer verlegen macht. Aber die Kopfhörer bleiben auf, die Musik bleibt an. Wo kommen wir denn da hin? Trotzdem. Jetzt nicht übermütig werden.

Naja. Und so weiter. Ich ging dann also in die Küche und machte mir was zu essen.

Dienstag, 2. Juni 2015

Ihr kennt das

(Einer von zwei Geburtstagstexten für eine ehemalige Freundin von mir.)


Ihr kennt das. Aus irgendwelchen Gründen bildet ihr euch ein, dass ihr zum Geburtstag von einem Menschen den ihr sehr mögt, einen Text schreiben solltet. Vortragen wollt ihr ihn auch. Über Wochen plagt ihr euch mit diesem Gedanken rum. Ihr denkt da viel drüber nach, wie es so eure Art ist. Ihr habt sogar eine vage Idee, aber ihr formuliert das natürlich nicht vollständig aus. Nicht drei Wochen, nicht zwei Wochen, nicht zwei Tage vor der Feier. Und da steht ihr dann, weil ihr euch schon wieder um Kopf und Kragen geredet habt, da. Ihr kennt das. Sicher.

Ihr steht also, wie gesagt, da. Aber eigentlich sitzt ihr natürlich da. Ihr fummelt nervös werdend an den Sachen rum, an denen man für gewöhnlich so rumfummelt. Vermutlich unterscheiden sich da jetzt die Präferenzen, aber ihr kennt das trotzdem so in etwa. Sitzend also, brütet ihr fast verzweifelt an einem Text herum.

Im Text sollte es eigentlich um Axolotl gehen. Der Plan war, den Umstand zu nutzen, dass Axolotl im Zimmer, zumindest meiner Geburtstagshaberin, herumstehen und immer etwas dümmlich-glücklich gucken. Wäre doch gelacht, wenn sich daraus nicht etwas machen ließe. Dann noch den Umstand eingebaut, dass die Axolotl in ihrem Aquarium ja nicht wirklich im Zimmer sind, sondern nur durch eine Scheibe auf die Geburtstagshaberin Frau K. schauen - Ein Außen im Innen sozusagen - Wenn sich daraus keine Profanprosa stricken lässt, dann…

…sitzt ihr wohl so da wie ich jetzt. Vielleicht macht ihr ein Interview, denkt ihr euch, oder einen Monolog. Vielleicht könnte man ja auch den Anfang von Kafkas Erzählung die Verwandlung persiflieren. »Als Frau K. eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem Bett zu einem ungeheueren Axolotl verwandelt.« Ihr müsst grinsen. Ja, das ist gut! Und dann schreibischreibt ihr wie die Wahnsinnigen an einem solchen Text und stellt fest, wenn er fertig ist, dass es ein halb-trauriger Text geworden ist, das passiert euch halt manchmal, no big deal, nbd (wie da der Gebildete zu sagen pflegt). Nur doof halt, dass das dann wiederum ja überhaupt nicht mit der Absicht zusammengeht, dass ihr den ja vor Publikum poetryslammäßig auf der Party im bumsfallera-Stil vortragen wolltet. Wie gesagt: Wahrscheinlich kennt ihr das.

Da uns allen diese Situation also bekannt vorkommt, macht ihr das was ihr in solchen Momenten immer macht: Ihr wendet euch eurer Hamsterin zu, um sie um Rat zu fragen:

»Ey, Hamsti! Hamsti! Hamstihamstihmasti…! (Hier ist anzumerken, dass ich meiner Hamsterin niemals den unkreativsten aller Hamsterinnennamen - “Hamsti” - gegeben hätte. Das ist ja wie einen Menschen “Menschi” zu nennen. Genau genommen ist Hamsti nämlich eigentlich die Hamsterin meines Bruders gewesen, der sie zu mir aufs Altenteil abgestellt hat. Er meinte, es würde mir gut tun. Der nachfolgende Dialog mag zu einer anderen Einschätzung führen…) t•t•t•t•t Haaaaammmsttiii…«

Meistens dauert es keine 23 Minuten, bis Hamsti dann das Köpfchen aus ihrem Häuschen steckt. Außer sie schläft, oder hat kein Bock, oder will mich ärgern.

»Hamsti! Komm schon. Ich hab den Stoff, du hast die Antworten.«

Ich lege die frisch gekaufte Petersilie vor ihrem Häuschen ab.

Hamsti steckt ihr Köpfchen aus dem Häuschen.

“Wat wilstn?”

»Ich hab da so ein Problem. Ich will über Tiere schreiben. Und ich bin unter Druck. Und da du ein Tier bist, dachte ich wir könnten uns mal darüber unterhalten.«

»Ick bin ne Hamsterin, keen Tier, du Affe!«

Sie steckt sich eine Stange Petersilie zwischen die Kiemen.

»Wie auch immer. Weißt du was Axolotl sind?«

»Nö.«

»Das sind so im Wasser lebende Schwanzlurche.«

»Kchkchkch« macht Hamsti

Ich verdrehe die Augen. Als Hamsti sieht, wie ich die Augen verdrehe, verdreht sie die Augen.

»Und wat is jetz dit Problem?«, fragt sie genervt.

»Ich habe einen Text geschrieben. Aber er ist so halb-traurig geworden. Und ich wollte eigentlich so einen bumsfallera-Text schreiben.«

»Na denn mach dit doch…«

»Das ist ja das Problem. Ich will den Text gerne so lassen. Ich brauch ne neue Idee.«

»Du meinst, du musst wat neuet erleben…«

»Ja.«

»Und dafür, lieber Martin, brauchste mal wieder die Hilfe von Hamsti.«

»Ja.«, gab ich widerwillig zu.

Hamsti fing an sich ihr Jetpack anzuschnallen.

»Naaa juuut. Für dich doch immer sweatheart, weeste doch.«

Ein weiteres Augenrollen, der Hamsterin machte klar, wie begeistert sie war. Sie steckte sich eine Kippe an, legte die beiden schweren Patronengurte um und startete das Jetpack, was dazu führte, dass das Spreu im Käfig Feuer fing und mein Wohnzimmer plötzlich akkustisch einem Flugzeugträger glich.

»Was machst du denn?!«, rief ich außer mir und schüttete den Rest meines Schwarztees in den Käfig um die Flammen zu löschen.

Hamsti war ihrerseits schon halb aus dem inzwischen geöffneten Fenster. Im Flug drehte sie sich zu mir um.

»Biste bereit für ne neue Jeschichte?«, fragte sie mich.

Ich blinzelte.

»Ich denke schon…?«, fragte ich unsicher zurück.

Das reichte ihr. Sie reichte mir eine Pfote. Ich ergriff sie. Und gemeinsam flogen wir in die Nacht. Na wie auch immer. Ihr kennt das.

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