Textrepo Hähnel
Sonntag, 14. Juni 2015

Wie ich einmal in meiner neuen WG in die Küche gehen wollte, weil ich Hunger hatte, aber das ging nicht, weil ich dann ja von den anderen WG-Leuten, die im Wohnzimmer saßen gesehen worden wäre und das wollte ich nicht, jedenfalls war das die Ausgangssituation

(Geschrieben für den Poetry Slam, "Slam the Library")

Hahahahaha. Hahahahahahahahaha. Ha. Ein Katzenbaby. Niedlich. Hahahaa. Ohh. Urgh. Hngggn! Hngggn!^2 *Kotzgeste* Noch’n Katzenbaby. Auch niedlich. Hahahaa. Scroll. Klick, Klick, Scroll. Scroll. Klick. So. Internet durchgelesen. Mein Magen grummelt. Ich habe wohl Hunger. Muss mal was essen. Gibt es in der Küche. Und jetzt? Jetzt muss ich verhungern, weil sich andere Menschen im Wohnzimmer befinden. Und ich muss durchs Wohnzimmer um in die Küche zu kommen. Was mach ich nur? Ich könnte aus dem Fenster springen. Wir wohnen im ersten Stock. Und dann durch die Wohnungstür wieder rein. Schlüssel hab ich ja. Aber was ist mit dem Rückweg? Da muss ich ja trotzdem durchs Wohnzimmer. Das fällt dann ja auf. Dann lieber verhungern als auffallen. Dass ich auch alle versteckten Nahrungsvorräte schon aufgegessen hab. Ich bin doch erst anderthalb Tage in meinem Zimmer. Verhungern ist keine Lösung. Das dauert zu lange. Hm. Könnte mich kopfüber aus dem Fenster stürzen, aber das fällt dann ja wieder auf. Wenn mein Gehirn sich auf dem Bürgersteig verteilt. Und was sollen dann morgen früh die Nachbarn denken? Also muss ich wohl überleben wollen. Warum bin ich in eine WG gezogen, dazu noch mit mir völlig unbekannten wildfremden Menschen? Es sind doch Menschen? Es könnten auch keine Menschen sein. Ich mein, so genau weiß ich das ja nicht. Sie sehen sehr menschlich aus. Vielleicht sind’s Kannibalen. Oder Zombies. Oder Aliens! Oder verkleidete Waschbären. Man kann sich ja nicht sicher sein. Kann man sich nie.

In meiner alten Wohnung war das kein Problem. Da wohnte ich nur mit mir und meiner Hamsterin. Ich brauchte da nicht mal eine Hose anziehen, wenn ich in die Küche wollte. Die Hamsterin war nämlich auch nackt. So rum gedacht, lebte ich vorher in einer Nudisten-WG. Kein Wunder, dass mir die Umstellung jetzt so schwer fällt.

Das nervt schon. Das mit den Hosen. Aber es sagt einem ja auch niemand, dass in einer 5er-WG - inklusive Hamsterin - ständig Leute sind und man sich ständig beobachtet fühlt. Totalüberwachung. Ich lebe die Dystopie. 1984. Orwell hatte recht. Na gut. Manchmal schlafen die Leute auch. Vielleicht lauschen sie aber auch bei geschlossener Tür, ob ich irgendwas mache. Auch deswegen mache ich nichts. Außer das Internet durchlesen. Na gut und ich bin Geisteswissenschaftler. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich sollte mir eine Strickleiter für Notfälle besorgen. Dann kann ich mich abseilen. Falls mich die Waschbären auffressen wollen. Oder so.

Dass es keine Tarnanzüge gibt. Jedenfalls nicht zu kaufen. Bisher ist die Zukunft enttäsuchend. Also die Zukunft, die angeblich hier ist. Die Zukunft, die man kaufen kann. THE FUTURE IS NOW! sagen doch jetzt immer alle. Oder? Oder sag ich das bloß? Stand doch auf irgendeiner Wand hier irgendwo in Berlin. Oder?

Aber nicht nur Hosen muss ich anziehen. Habe ja noch diesen Kopfhörer auf. Und geile Musik in den Ohren. Düdeldüdeldüdeldü. WhobWhobWhob. Und so weiter. Der Hamsterin macht die Beobachtung durch andere nichts aus. Ihr Käfig steht da einfach bei den Leuten im Wohnzimmer und obwohl sie andere sehen können rennt sie weiterhin nackt herum. Ein Skandal! Findet das wohl geil. Nunja. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Kann man nichts machen. Hilft mir auch nicht. Also: Hose anziehen. Schwups. Hose ist an.

Tür aufmachen. Aber leise. Okay. Läuft. Puh. Zugegeben: Ich weiß nicht so genau, ob das jetzt gut gelaufen ist, oder nicht, weil ich ja Musik in einer Lautstärke höre, die Presslufthämmer verlegen macht. Aber die Kopfhörer bleiben auf, die Musik bleibt an. Wo kommen wir denn da hin? Trotzdem. Jetzt nicht übermütig werden.

Naja. Und so weiter. Ich ging dann also in die Küche und machte mir was zu essen.

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