Textrepo Hähnel
Dienstag, 2. Juni 2015

Ihr kennt das

(Einer von zwei Geburtstagstexten für eine ehemalige Freundin von mir.)


Ihr kennt das. Aus irgendwelchen Gründen bildet ihr euch ein, dass ihr zum Geburtstag von einem Menschen den ihr sehr mögt, einen Text schreiben solltet. Vortragen wollt ihr ihn auch. Über Wochen plagt ihr euch mit diesem Gedanken rum. Ihr denkt da viel drüber nach, wie es so eure Art ist. Ihr habt sogar eine vage Idee, aber ihr formuliert das natürlich nicht vollständig aus. Nicht drei Wochen, nicht zwei Wochen, nicht zwei Tage vor der Feier. Und da steht ihr dann, weil ihr euch schon wieder um Kopf und Kragen geredet habt, da. Ihr kennt das. Sicher.

Ihr steht also, wie gesagt, da. Aber eigentlich sitzt ihr natürlich da. Ihr fummelt nervös werdend an den Sachen rum, an denen man für gewöhnlich so rumfummelt. Vermutlich unterscheiden sich da jetzt die Präferenzen, aber ihr kennt das trotzdem so in etwa. Sitzend also, brütet ihr fast verzweifelt an einem Text herum.

Im Text sollte es eigentlich um Axolotl gehen. Der Plan war, den Umstand zu nutzen, dass Axolotl im Zimmer, zumindest meiner Geburtstagshaberin, herumstehen und immer etwas dümmlich-glücklich gucken. Wäre doch gelacht, wenn sich daraus nicht etwas machen ließe. Dann noch den Umstand eingebaut, dass die Axolotl in ihrem Aquarium ja nicht wirklich im Zimmer sind, sondern nur durch eine Scheibe auf die Geburtstagshaberin Frau K. schauen - Ein Außen im Innen sozusagen - Wenn sich daraus keine Profanprosa stricken lässt, dann…

…sitzt ihr wohl so da wie ich jetzt. Vielleicht macht ihr ein Interview, denkt ihr euch, oder einen Monolog. Vielleicht könnte man ja auch den Anfang von Kafkas Erzählung die Verwandlung persiflieren. »Als Frau K. eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem Bett zu einem ungeheueren Axolotl verwandelt.« Ihr müsst grinsen. Ja, das ist gut! Und dann schreibischreibt ihr wie die Wahnsinnigen an einem solchen Text und stellt fest, wenn er fertig ist, dass es ein halb-trauriger Text geworden ist, das passiert euch halt manchmal, no big deal, nbd (wie da der Gebildete zu sagen pflegt). Nur doof halt, dass das dann wiederum ja überhaupt nicht mit der Absicht zusammengeht, dass ihr den ja vor Publikum poetryslammäßig auf der Party im bumsfallera-Stil vortragen wolltet. Wie gesagt: Wahrscheinlich kennt ihr das.

Da uns allen diese Situation also bekannt vorkommt, macht ihr das was ihr in solchen Momenten immer macht: Ihr wendet euch eurer Hamsterin zu, um sie um Rat zu fragen:

»Ey, Hamsti! Hamsti! Hamstihamstihmasti…! (Hier ist anzumerken, dass ich meiner Hamsterin niemals den unkreativsten aller Hamsterinnennamen - “Hamsti” - gegeben hätte. Das ist ja wie einen Menschen “Menschi” zu nennen. Genau genommen ist Hamsti nämlich eigentlich die Hamsterin meines Bruders gewesen, der sie zu mir aufs Altenteil abgestellt hat. Er meinte, es würde mir gut tun. Der nachfolgende Dialog mag zu einer anderen Einschätzung führen…) t•t•t•t•t Haaaaammmsttiii…«

Meistens dauert es keine 23 Minuten, bis Hamsti dann das Köpfchen aus ihrem Häuschen steckt. Außer sie schläft, oder hat kein Bock, oder will mich ärgern.

»Hamsti! Komm schon. Ich hab den Stoff, du hast die Antworten.«

Ich lege die frisch gekaufte Petersilie vor ihrem Häuschen ab.

Hamsti steckt ihr Köpfchen aus dem Häuschen.

“Wat wilstn?”

»Ich hab da so ein Problem. Ich will über Tiere schreiben. Und ich bin unter Druck. Und da du ein Tier bist, dachte ich wir könnten uns mal darüber unterhalten.«

»Ick bin ne Hamsterin, keen Tier, du Affe!«

Sie steckt sich eine Stange Petersilie zwischen die Kiemen.

»Wie auch immer. Weißt du was Axolotl sind?«

»Nö.«

»Das sind so im Wasser lebende Schwanzlurche.«

»Kchkchkch« macht Hamsti

Ich verdrehe die Augen. Als Hamsti sieht, wie ich die Augen verdrehe, verdreht sie die Augen.

»Und wat is jetz dit Problem?«, fragt sie genervt.

»Ich habe einen Text geschrieben. Aber er ist so halb-traurig geworden. Und ich wollte eigentlich so einen bumsfallera-Text schreiben.«

»Na denn mach dit doch…«

»Das ist ja das Problem. Ich will den Text gerne so lassen. Ich brauch ne neue Idee.«

»Du meinst, du musst wat neuet erleben…«

»Ja.«

»Und dafür, lieber Martin, brauchste mal wieder die Hilfe von Hamsti.«

»Ja.«, gab ich widerwillig zu.

Hamsti fing an sich ihr Jetpack anzuschnallen.

»Naaa juuut. Für dich doch immer sweatheart, weeste doch.«

Ein weiteres Augenrollen, der Hamsterin machte klar, wie begeistert sie war. Sie steckte sich eine Kippe an, legte die beiden schweren Patronengurte um und startete das Jetpack, was dazu führte, dass das Spreu im Käfig Feuer fing und mein Wohnzimmer plötzlich akkustisch einem Flugzeugträger glich.

»Was machst du denn?!«, rief ich außer mir und schüttete den Rest meines Schwarztees in den Käfig um die Flammen zu löschen.

Hamsti war ihrerseits schon halb aus dem inzwischen geöffneten Fenster. Im Flug drehte sie sich zu mir um.

»Biste bereit für ne neue Jeschichte?«, fragte sie mich.

Ich blinzelte.

»Ich denke schon…?«, fragte ich unsicher zurück.

Das reichte ihr. Sie reichte mir eine Pfote. Ich ergriff sie. Und gemeinsam flogen wir in die Nacht. Na wie auch immer. Ihr kennt das.

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