Dienstag, 2. Juni 2015
Mein Tier
Erstellt von martinopenmedi um 10:31
Ich kann im Spiegel das Tier sehen. Neuerdings. Die gesamte Wucht des Anderen zerquetscht mein Gehirn. Das hier ist kein Gefäß, das hier ist ich. Jeder Finger, jedes Zwinkern, jedes den-Kopf-zur-Seite-Drehen-und-Einatmen. Ich bin kein Text. Auch nicht dieser.
Die letzten Tage und Wochen ergebe ich immer weniger Sinn. Ich beschmutze mich, mit Worten, Taten, aber auch mit Nichtstun. Ich liege lethargisch auf meinem Bett, kann nicht schlafen, nicht aufstehen, nicht nichts tun. Meine Obsession brennt mir ein Loch in den Schädel und mein Verlangen reißt mir fast den Schwanz aus. Das ist neu.
Von außen: Same same. Ich komme zu spät, habe Probleme, bleibe nett. Bleibe ich aber auch alles andere? Was passiert mit mir? Und warum gerade jetzt? Es ist, als wollte mich das Leben spalten.
Noch anders
Erstellt von martinopenmedi um 10:29
Der Raum ist braun und leer. Das heißt, nicht leer ist er, er wirkt so. Er ist zu groß für das was drin ist. Vorne steht F und redet, findet er wichtig. Die meisten, so auch ich, hören mehr mit einem halben Ohr hin. Komische Formulierung - Was ist ein halbes Ohr? Welche Hälfte? - aber es ist wahr.
Neben F und mir sind noch gut zwei Hände voll Andere halb anwesend. Aber sie schweben fast alle in ihren Körpern. Als wären ihre Gehirne das Helium, was es ihren Köpfen ermöglicht sich über ihren Körper zu erheben.
Gemurmel im Hintergrund. Sie reden leise miteinander, das nervige Geräusch von Zwischenmenschlichkeit für all die Heliumballons zwischen den Murmelern. Aber auch die Heliumballons hören oft gemeinsam zu, teilen miteinander - und können das wahrscheinlich jede für sich sogar besser als ich. Zynismus.
So geht die Vorlesung im viel zu großen Saal langsam vorbei. Ja, auch ich stelle mir ab und zu vor, wie es wohl wäre. Selber vortragen. Ich wäre enttäuscht. Ich würde vielleicht auch einen kleineren Raum gebucht haben als F.
In der U-Bahn, auf dem Weg hierher, dachte ich noch, dass es ganz normal sei mehr zu schreiben, als man selbst je lesen würde. Warum ist es dann nicht auch normal, mehr zu sagen, als man selbst je zuhören kann? Vielleicht besteht kein Unterschied. Dass man die Einsamkeit sehen kann, macht sie nicht kleiner.
Nachklapp.
Erstellt von martinopenmedi um 10:27
Na klar ist es traurig. Und du machst dir auch noch Gedanken. Das macht es trauriger. Aber gleichzeitig hat es schon längst nichts mehr mit dir zu tun. Es hat mit mir zu tun.
Es ist, wie so vieles was hauptsächlich Zeit braucht, eine Einsichtssache. Es ist eine Verschiebung, eine Positions- aber auch eine Formänderung dessen, was ursprünglich mal im Mittelpunkt stand. Es verunsichert mich. Ich rede mit Freunden drüber, mehr im Vorbeigehen als alles andere. Höre ihnen stattdessen bewusster zu, will wissen wie es ihnen geht. Ich möchte die Dinge plötzlich anders sagen, kann und will gar nicht so sein, wie ich noch vor ein paar Tagen war. Der Grund ist so einfach wie armseelig, so naheliegend wie untypisch, so ganz klar ich. Du sagtest etwas am Rande - ganz so wie ich jetzt mit anderen darüber zu reden versuche. Vielleicht sagtest du "Körperlichkeit", der Wortlaut war nachrangig. Die daraus resultierende Wärme fühlte sich an, als wären mir sämtliche Adern im Körper auf einmal geplatzt. Ich ging anschließend ins Kino, um auf andere Gedanken zu kommen. Allein. Aber auch hier: Körperlichkeit, bzw. das Fehlen dieser. Der Film zeigte den Unterschied zwischen Kommunikation in der Echtwelt und der Kommunikation im Netz. Wie letztere erstere nicht vollständig simulieren kann. Wie es stehts Hoffen und Wünschen bleibt, wenn die Dinge im Netz oder ausschließlich in der Sprache bleiben. Liebe, Körperlichkeit, Zärtlichkeit, Intimität, usw., all das bleibt lediglich eine mögliche Zukunft, eine Hoffnung. Man kann nur in den Räumen, die wir für unsere Körper errichtet haben, diese Zukunft einlösen. Ich kann meine Hoffnungen nicht sprachlich erfüllt sehen. Eigentlich mochte ich es, mich als einen Menschen der Sprache zu verstehen. Ich höre zu, lese, rede und schreibe ja auch hauptsächlich. Zu erkennen, dass Sprache die mir fehlende Körperlichkeit nicht ersetzen kann, ja, meine individuelle Sprache nicht einmal als Brücke hin zu einer Körperlichkeit taugt, war ein schwerer aber lehrreicher Schlag. Es ist traurig, erklärt mir aber auch, warum es wohl in der Vergangenheit nur so selten funktionierte. Das erkannt zu haben, schürt in mir eine neue Hoffnung, öffnet den Weg zu einer neuen möglichen Zukunft, die nach so langer Zeit endlich mal auf anderer Ebene eingelöst werden will.