Textrepo Hähnel
Dienstag, 2. Juni 2015

Wie sieht's aus in Jena?

Es läuft gut, wenn man von den impraktikablen Idiosynkrasien von dir absieht. Du bist eher müde, hast keinen Platz in diesem Schädel für Animositäten. Was für ein herrliches Wort. Es geht um Wissenschaftsgeschichte. Es geht ums Scheitern. Du denkst, dass du das kennst. Nicht das hier, hier sein ist Gewinn, aber hier sein als Du ist scheitern. Du hörst ein Stichwort und hast intuitiv eine ablehnende Reaktion: Habermas. Warum eigentlich? Jena ist um dich, es gibt keinen Grund für diese unbesiegbare Melancholie. Als du heute morgen in dem ein wenig nach feuchter Wäsche riechenden Raum auf dem Ecksofa deiner Unterkunft wach wurdest, hattest du nicht damit gerechnet, dass rationaler Diskurs gefordert werden würde. Und handeln. Und du musst an die "Encyclopaedia of received Ideas" denken. Du musst denken, dass das alles was du als Begründung für deine Reaktion hervorzubringen weißt Vorurteile sind. Es ist wie der Nebel, der vor deinem Fenster heute morgen die Beschaulichkeit, gebaut aus Geld, die Jena ist, versteckte. Eine historische Figur hat Fehler gemacht, heißt es. Es geht um die Lehre, um alte Testamente. In der Vorstellungsrunde warst du erstaunlich ruhig, du konntest dich vor-stellen, vor den, der hier laufend nicht wusste, ob er passen würde, ohne dabei Gegner spielen zu müssen.


Der Raum hallt. Du fragst wie und in welcher Freiheit die Leute um dich eigentlich hier sind. Die Leute neben dir sind mit dir aus Berlin angereist, du kennst sie, glaubst du, aber kennen sie dich? Und wer entscheidet darüber? Neben dir auf der anderen Seite sitzt der einzige Naturwissenschaftler in der Runde. Du hast ihn gestern ganz schön angemacht. Warum?


Warum bist du eigentlich in Jena? Das ist schwieriger zu beantworten als du denkst. Die einfache Antwort ist, dass du deine erste wissenschaftshistorische Tagung besuchst. Warum? Die Leute neben dir haben dich mitgenommen, sie fragten dich und du sagtest ja. Warum? Weil du gerne Wissenschaftshistoriker wärst und dazu gehört auch, dass du Tagungen besuchst und eine Tagungsidentität entwickelst. Warum? Weil du Angst hast, dass du sonst nichts mehr wirst. Du glaubst, dir liegt das Denken zwischen historischen und philosophischen Kategorien. Vielleicht kannst du deine Hoffnung auch einfach nur nicht rational hinterfragen. Warum? Because some things are and others are not? Du willst weg von dort wo du herkommst. Du willst irgendjemand anderer sein. Du willst dir später vorstellen können, dass die Episode deines Lebens, die dich jetzt hoffen lässt irgendwann ein anderer zu sein, nur eben eine solche war. Und die Phase in der du jetzt steckst auch. Blind läufst du vorwärts durch die Zeit. Du bist keiner der Engel der Geschichte, du schaust stets über deine Schulter. Weil wer sich mit der Vergangenheit beschäftigt um in der Zukunft jemand anderes zu sein, vergisst, dass Voraussagen selbst mit aller Empirie der Geschichte nicht möglich sind.


Noch ein Vortrag. Der Naturwissenschaftler stellt sein persönliches Scheitern vor. Und plötzlich: Sympathie! Warum auch immer. Vielleicht liegt es, wie immer, dann doch auch an dir. Viele Lebenseinstellungsheurestiken. Serendipity = serene (heiter) + pity (pech). Und dann ist das Problem lediglich unterschiedliche Kulturen.


Du willst ihr erklären, dass sie es falsch macht. Du willst ihr sagen, dass du ihr seit Anfang nicht folgst. Aber vielleicht solltest du deswegen besonders vorsichtig sein. Deine Frage ist eigentlich eine Frage an dich und weniger an sie: Wie würdest du die Definition verbessern? Wie passen fest im Jetzt verankerte Begriffskonzepte, Wissensformationen, mit dem Anspruch historisch aussagekräftig zu sein, zusammen?


Und so weiter. Du kommst abgekämpft nach Hause, hast abgebrochen, bist eingeknickt, nachher war sogar lächeln schwer. Der Rest zog weiter in ein Restaurant. "Lecker Abendessen und Bier." Du wolltest nur eine Tür, die du hinter dir schließen kannst, du wolltest umgeben sein von einem Raum, der nur dir gehört. Die Freiheit in deiner Klosterzelle. Stattdessen sitzt du im Durchgangsraum, deiner Schlafgelegenheit, hast deine Kopfhörer auf und versuchst abwesend zu wirken. Du wolltest noch lesen. Aber du hast ja nicht mal mehr die Kraft dafür die Augen zuzulassen. Du lächelst trotzdem, wenn dir Leute kurz im Vorbeigehen zunicken. So viel Kraft muss sein.


Den nächsten Tag verschläfst du. Mehr oder weniger absichtlich. Es sind erst zwei Tage um und du brauchst diesen halben Tag, den du dann aber doch nur in den Schlafsack eingerollt verbringst. Den Nebel beim Verschwinden beobachtend. Noch zwei weitere Tage. Du gehst in die Bibliothek und liest und schreibst bis es heute Abend weiter geht. Angewohnheiten bieten Sicherheit. Du fühlst dich überfordert von der Situation. Es ist zwar nicht schön - aber unheimlich interessant.

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