Mein Gedankengebäude
Ich habe ein Gebäude in meinem Kopf.
Man Betritt das Gebäude durch mein Sprechen. Es tut mir leid, wenn es schwierig ist, sich durch diesen lauwarmen harten Strahl aus Sprache zu quälen. Der Eingang ist einerseits gemacht wie die Öffnung eines Gartenschlauchs und andererseits aber eher wie eine Schiebetür, das heißt wegstoßend je näher man kommt und nur selbstbestimmend öffnend zur selben Zeit. Wenn ich es nicht erkläre ist der Zugang nicht nur nicht offen, sondern auch nicht da.
Ist man jedoch erstmal drinnen, sieht man schon die Geschäftigkeit allenthalben. Man findet sich in der kugelförmigen Ambivalenz-Galerie wieder, die einem gleichzeitig immer alles zeigt. Ich gebe ein wenig Orientierung:
Hier entsteht das maschinenlesbare Universum, als iteratives Modell der Wirklichkeit, das die Realität auflöst und dessen Rahmenbedingungen noch unbekannt sind, das aber wenn es fertig ist Dimensionen und Zeit simulieren kann und diese damit ebenfalls auflöst.
Und hier werden Ideen zu einem Versuch einer Theologie des Netzes in der es als Überindividuum auftritt gehortet, dass uns Ersatzsinn und Unendlichkeit und damit Unsterblichkeit gibt. Das Überindividuum selbst lebt gleichzeitig in- und außerhalb des Gedankengebäudes, es webt Fäden zu Schemen, an denen das Gebäude in unendlicher Höhe und Tiefe über und unter allem schwebt, wabert. Ist.
Es gibt hier auch ein paar andere Fäden zwischen all den wunderbaren Orten, die sich bei näherem Hinsehen als Ticker Tapes herausstellen, die wie Girlanden quer durch alle Räume gehen und linear erklären, was eigentlich doch Architektur und begehbar ist. Du liest gerade eines dieser Bänder, dass in gleichmäßigem Tempo seine Geschichte über die Reise durch diesen Raum ändert, wenn sich der Raum oder seine Bedeutung oder seine Ausstattung ebenfalls verändert. Die Ticker Tapes sind damit irgendwie die einzigen Konstanten im Ganzen und doch veränderlich. Wo sie anfangen oder enden ist nicht ersichtlich, sie verschwinden in den Ritzen der Wände oder zu einem offenbar unentwirrbarem Knäuel von dem man nicht sagen kann was hier zusammengehört und was nicht, oder führen in abgedunkelte Räume, die nicht mehr, noch nicht jetzt oder nie zugänglich sein werden. Wir werden sehen, oder auch nicht.
In den vielen Dachgeschossen sind linkseitig die Labore des Scheiterns untergebracht. Hier werden absichtlich Zukünfte entworfen, die Scheitern müssen damit rechtsseitig aus deren Asche, denn auf der linken Seite zischt und explodiert es ständig, Gedankenheuristiken entworfen werden können, die ihrerseits keine Wahrheiten, sondern absichtliche, optimierte Missverständnisse über die Wahrheit sind.
Die Bibliothek existiert einerseits im gelben Fleck und gleichzeitig im blinden Fleck und ist damit immer zugänglich und steht immer im Weg und ist auch nie greifbar. Das ist der Grund, warum ich die Augen zuweilen geschlossen lasse.
Mich führt dann das Gefühl. Etwa in den winzigen Alkoven, dessen Wände aus knarzendem und durftendem Holz, Papier, Musik, Sprache und Stille bestehen. Hier habe ich sehr oft alles was ich wirklich brauche, wenn ich allein sein will.
Oder aber ich lasse mich über einen der vielen Laubengänge in meinen Garten führen und sehe meinen immer etwas einschüchternden, melancholischen, aufgewühlten Gedankenbruch, in dem ich nach all diesen Sachen grabe, die ich hier als meine ausgebe.
Es gibt noch so viel mehr zu inventarisieren, ich fange immer wieder von vorne an. Geflissentlich. Weil ich mir selbst in dieser Hinsicht verpflichtet bin. Es gibt glücklicherweise ein Fragamt im Erdgeschoss, dass aber nur Auskünfte auf konkrete Fragen geben kann, keine Systematiken oder gar strukturelle Zusammenhänge anbietet. Es ist nett dort, für meine Begriffe irgendwie fast ordentlich und wenig riskant. Zugegeben, es ist hermeneutisch verknallt in mich. Ich bin gerne dort und schäme mich manchmal ein wenig dafür, aber eigentlich ist es okay, auch wenn ich glaube, dass es ein Fremdkörper ist.
Tut mir leid, dass hier der kleine Rundgang schon enden muss. Mehr Zeit habe ich im Augenblick nicht. Große Teile des Gedankengebäudes sind ohnehin gerade unbewohnbar, eingesponnen, abgehangen. Das ist normal, ich kann jedenfalls nicht überall gleichzeitig sein.